„Trump hat eine Komplexitätsallergie“: Bilanz nach 100 Tagen Trump

„Alles ist viel komplizierter als gedacht. So könnte das Motto der ersten 100 Tage von Trump als Präsident der Vereinigten Staaten lauten“, führt Dr. Wilfried Mausbach (wissenschaftlicher Geschäftsführer des Heidelberg Center for American Studies) bei der Podiumsdiskussion „100 Tage Trump – Entwicklungen in der Außen- und Sicherheitspolitik“ in Heidelberg aus. Seit seinem Amtsantritt am 20. Januar zeichne sich immer mehr ab, dass Trump mit den vielschichtigen Anforderungen seines Amtes überfordert sei – nahezu eine „Komplexitätsallergie“ habe.

 

Zur Diskussion am 03. Mai 2017 hatte die Außen- und Sicherheitspolitische Hochschulgruppe Heidelberg eingeladen. Gleich zu Beginn hakte der Moderator Marco Fey (Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung) bei den Referenten nach, wie solch starke Rückschlüsse so kurz nach der Inauguration überhaupt gezogen werden können: „Es sind bisher keine sieben Prozent seiner Amtszeit verstrichen – wir haben noch 1361 Tage Trump vor uns.“ Dem entgegnete Dr. David Sirakov (Leiter Atlantische Akademie Rheinland-Pfalz) jedoch, dass die ersten 100 Tage besonders wichtig seien: „Ihre Wahlversprechen müssen die US-Präsidenten bestenfalls in den ersten 18 Monate umsetzten. Durch die wechselnden Mehrheitsverhältnisse in Kongress wird der politische Prozess danach einfach zu zäh.“

 

In Bezug auf die künftige außen- und sicherheitspolitische Ausrichtung der USA sind sich die Referenten einig: „Es fehlt einfach eine Strategie“, so Franka Ellman (German Marshall Fund of the United States). Bei Analysten und Diplomaten verstetige sich das Gefühl, Trump stolpere eher durch die internationale Politik und handele impulsiv. Hinzu kommen seine zahlreichen politischen Kehrtwenden, die seine Politik schwer einschätzbar und kalkulierbar machen würden. „Trump führt das Land mit politischer Unkenntnis. Zudem sind wichtiger Schlüsselpositionen noch immer nicht besetzt“, so Dr. Sirakov.  Aus diesem Grund seien seine „Executive Orders“ auch häufig so schnell zu kippen wie beim sogenannten „Muslim Ban“. Durch die fehlenden Berater seien diese einfach schlecht durchdacht.

 

Für die Gäste war besonders eine Frage von Interesse: Wie wird sich das deutsch-amerikanische Verhältnis unter Präsident Trump weiterentwickeln? „Trump hat sich Frau Merkel gegenüber bei ihrem Besuch nicht besonders höflich verhalten“, merkte eine Teilnehmerin aus dem Publikum an. Frau Ellman sieht das jedoch relativ entspannt: „Es gibt eine gute Normalität und einen funktionierenden diplomatischen Austausch. Während der ersten 100 Tage unter Obama hatten sich die Staatschefs und Außenminister beider Länder noch nicht getroffen. Die Prioritäten lagen damals eher in Asien.“ Zumindest die US-Regierung habe Deutschland als wichtigen internationalen Spieler erkannt.

 

Also alles halb so schlimm für die kommenden 1361 Tage? „Das System der ‚Checks and Balances‘ funktioniert noch“, so Franka Ellman. Dr. Sirakov merkte an, dass Trump wie alle US-Präsidenten zu Beginn seiner Amtszeit eine gewisse Lernkurve erleben werde, wenn seine eigenen Vorstellungen auf die Realität des Weißen Hauses treffen. Dem stimmt auch Dr. Mausbach zu: „Bisher sind weder die größten Hoffnungen, noch die schlimmsten Befürchtungen eingetreten.“


Embedded Journalism: Mit der Bundeswehr im Auslandseinsatz

Bernd Klose arbeit beim Nordwestradio des Radio Bremen. Über seine Arbeit hat er die Bundeswehr in vielen Auslandseinsätzen besucht oder begleitet. Anfang Mai war Herr Klose in Heidelberg und berichtete von seinen Erfahrungen.

 

Wer wissen will, was die Bundeswehr in ihren zahlreichen Auslandseinsätzen tut, muss sie begleiten. Immer wieder organisiert die Truppe dafür im In- und Ausland Presse-Events. Sie bieten die Möglichkeit für Einblicke und  Interviews mit den Soldatinnen und Soldaten, die ihre vom Parlament gegebenen Aufträge erledigen. Solche Pressetermine dauern in der Regel einige Stunden.

 

Ausgewählte Journalisten bekommen darüber hinaus die Möglichkeit, die Bundeswehr auch über mehrere Tage zu begleiten. Radio Bremen-Reporter Bernd Klose hat in diesem Rahmen bereits viele Missionen besucht, darunter in Afghanistan, Dschibuti und Mali. Mit der deutschen Marine war er im Mittelmeer und im Indischen Ozean unterwegs.

 

Die Bundeswehr arbeitet im Ausland in der Regel im Rahmen von Mandaten, die der Bundestag erteilt. Sie definieren den Handlungsrahmen, nach dem sich Befehle zwingend richten müssen. Fragt man Soldatinnen und Soldaten in der Situation einer Auslandsmission, ob sie ihr jeweiliges Mandat sinnvoll fänden, erklärten diese stets, sie seien der falsche Adressat für diese Frage und verwiesen auf die deutsche Politik, so Klose. Für diesen Moment konzentrierten sie sich darauf, ihre demokratisch legitimierte Aufgabe bestmöglich auszuführen. Mandate zu gestalten und den Erfolg von Einsätzen zu beurteilen, ist Aufgabe der politischen Entscheidungsträger. Dabei helfen die eingebetteten Journalisten, indem sie mit einer objektiven Berichterstattung den Prozess der politischen Willensbildung erst ermöglichen.

 

Generell ist die Bundeswehr daran interessiert, sich zu öffnen und der Öffentlichkeit ein möglichst positives Bild ihrer Arbeit zu präsentieren. Trotzdem sind viele Soldatinnen und Soldaten, aufgrund negativer persönlicher Erfahrungen mit unsachlichen und teilweise diffamierenden Berichten aus der Heimat, Journalisten gegenüber zunächst eher skeptisch eingestellt.

 

Auf längeren Reisen bietet sich auch außerhalb offizieller Interviews immer wieder Gelegenheit zum persönlichen Gespräch. So entsteht Vertrauen und letztendlich bekommt der Reporter tiefere Einblicke, wie die Truppe ihre Aufträge wahrnimmt.

 

Diese Vertrautheit führt Journalisten leicht in Konflikte. Unerfahrenheit in Interview-Situationen hat immer wieder Aussagen zur Folge, die nicht der offiziellen Linie der Bundeswehr entsprechen. Dabei gilt für  Bernd Klose der Grundsatz: Private Meinungen sollten privat bleiben. Aber gilt das auch für Aussagen, die im Rahmen eines offiziellen Interviews und in Anwesenheit eines Presseoffiziers gefallen sind?

 

In seinem Vortrag hat Bernd Klose verschiedene  konkrete Situationen  geschildert. Die Frage, wie im Zweifel mit solchen Aussagen umzugehen ist, wurde im Rahmen des Vortrags diskutiert.

 

Für Journalisten gilt das Zwei-Quellen-Prinzip. Jede Information sollte abgesichert und bestätigt werden. Möglicherweise problematische Aussagen sollten dabei zunächst vor Ort benannt werden. Eine Nachfrage klärt möglicherweise, ob es sich tatsächlich um eine belastbare Information handelt. Eine zusätzliche Nachfrage beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam sollte dann der nächste Schritt sein. Für ein möglichst vollständiges Bild versucht Bernd Klose über die Bundeswehr hinaus Einschätzungen anderer Korrespondenten oder von Nicht-Regierungsorganisationen zu ergänzen.

 

Einige Auslandseinsätze der Bundeswehr sind für die Soldatinnen und Soldaten mit realen Gefahren verbunden. Eine Patrouille in Mali ist deutlich riskanter als das die Überwachung des Seeraums vor der Küste Libyens. Grundsätzliche Risiken bietet aber jeder Auslandseinsatz. Parlamentarier, die über diese Einsätze entscheiden, sollten sich dessen sehr bewusst sein, sagt Klose. Wer die Berichterstattung über diese Auslandseinsätze verfolgt, sollte sich immer klar machen: Es ist der Bundestag, der die Truppe in Krisengebiete schickt. Es ist die Bundeswehr, die die Aufgabe hat, ihre Mandate auszugestalten und sich an den gegebenen Rahmen zu halten. Es ist die Aufgabe der Journalisten, sowohl kritisch als auch fair zu berichten.


Afghanistan Today - Failures and Achievements

Die Außen- und Sicherheitspolitische Hochschulgruppe Heidelberg lud S.E. Prof. Ali Ahmad Jalali, Botschafter der Islamischen Republik Afghanistan zu einem Vortrag über die aktuelle Situation in seinem Heimatland ein. Die Veranstaltung fand in den Räumen und in Kooperation des Südasien Institut der Universität statt.

 

„Lasst sie doch in den Bergen sitzen“ sagten die russischen Soldaten während der Besatzung Afghanistans über die Taliban, „Wir kümmern uns um sie falls sie herunter kommen“. Eine Strategie, so berichtet Seine Exzellenz Botschafter Ali Ahmad Jalali, die sich durch große Teile der verschiedenen Interventionen in Afghanistan durchgezogen hat. Auch der Sturz der Taliban Regierung durch die USA 2001 hatte einen Rückzug der Gruppen in ländliche Regionen zur Folge. Diese schienen wesentlich schwerer zu erobern und strategisch unwichtig.

 

Das Problem bestehe, so der Botschafter, bis heute: die afghanische Regierung kontrolliere Großstädte und Zentren der Wirtschaft während sich der Großteil der ländlichen und Bergregionen weiterhin ungebrochen unter der Herrschaft der Taliban befänden. Diese können hier auf eine mittlerweile starke Infrastruktur zugreifen, die ihnen den Anbau und Vertrieb von Drogen ebenso ermöglicht, wie das Erheben eigener Steuern und vielem mehr. Sie schafften es so, die betroffenen Bürger vom Staat zu isolieren und kontrollieren.

 

Botschafter Jalali, der selbst als Offizier diente und vor seinem Amt als Innenminister Afghanistans unter anderem an namenhaften US-Militärakademien lehrte, bewertete die innere Lage des Landes als Pattsituation zwischen staatlichen und aufständischen Kräften. Dazu beigetragen habe allerdings auch das internationale Engagement: der Aufbau von Polizei, Militär und Justiz sei von zu vielen verschiedenen Akteuren mit unterschiedlichen Zielen und zu wenig gegenseitiger Abstimmung betrieben worden. Dadurch büßten die Maßnahmen einen wesentlichen Teil ihrer Effektivität ein. Auch seien finanzielle Hilfen und wirtschaftliche Investitionen vor allem direkt an private Unternehmer geflossen und wurden nicht über Afghanistans eigene wirtschaftliche Aufbauprogramme geleitet.

 

In der sich anschließenden Fragerunde gab er sich optimistisch, dass gerade eine Verbesserung der Beziehungen zu Pakistan eine Stabilisierung begünstigen würde: das Grenzgebiet der beiden Länder und einige Regionen Pakistans sind Rückzugs- und Ausbildungsgebiete für Aufständische Kämpfer. Wenig besorgt zeigte er sich in Bezug auf die protektionistischen Züge der neuen US-Regierung: es sei auch im Interesse der USA das Engagement in Afghanistan nicht vollkommen einzustellen.


„Wir befinden uns in einer Zeitenwende“ – Die Heidelberger Abgeordnetenreihe mit SPD-MdB Josip Juratovic

Die Auftaktveranstaltung der zweiten Ausgabe der Heidelberger Abgeordnetenreihe mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Josip Juratovic fand am 9. Mai 2017 statt. Wir begrüßten den Heilbronner Westbalkan-Experten und 13 Teilnehmer im Cafe Cénmoro in der Heidelberger Altstadt. Geboren 1959 in Kroatien, kam Juratovic als Jugendlicher mit seiner Familie nach Deutschland und absolvierte dort nach der Berufsfachschule eine Lehre als KFZ-Mechaniker. Er sagt von sich selbst: „Ich war Fließbandarbeiter – das ist mein Alleinstellungsmerkmal im Bundestag“. Mit 23 Jahren trat er der SPD bei und bekleidete fortan vielfältige Parteiämter – seit 2014 ist er Integrationsbeauftragter für die Sozialdemokraten. 2005 wählten ihn die Baden-Württemberger für die erste seiner bisher drei Legislaturperioden über die Landesliste in den Deutschen Bundestag. Dort ist er momentan Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und des Unterausschusses Vereinte Nationen, Internationale Organisationen und Globalisierung. Mit uns sprach er über die Konflikte in seiner Heimat, den Status quo der EU und das innerdeutsche Verhältnis zum Islam. Für ihn steht fest: „Wir befinden uns in einer Zeitenwende“.

 

Der Westbalkan erfordert unsere Aufmerksamkeit

„Diese Autokraten benutzen demokratische Strukturen, aber die demokratischen Werte liegen ihnen nicht am Herzen“, so begann Juratovic seine Einschätzung zur politischen Lage auf dem Westbalkan. Eine ähnliche Problematik bestehe darin, dass Parteizugehörigkeit häufig rein als Türöffner für Jobs fungiere. Außerdem gäbe es viel Korruption. Resultat sei die wieder aktuelle Gefahr eines Kriegsausbruchs in der Region, die vor allem durch Arbeits- und Perspektivlosigkeit in der jungen Bevölkerung verstärkt werde. Die instabile Lage betrifft auch deutsche Interessen, denn laut Juratovic diene der Westbalkan als Umschlagplatz für alle möglichen kriminellen Aktivitäten in Europa, die man sich vorstellen könne. Gegen das Aufbrechen alter religiöser, kultureller oder ethnischer Konfliktlinien sprach sich der Bundestagsabgeordnete für Verständigung aus: „Der einzige Unterschied zwischen Serben und Kroaten ist der Glaube. Ein Juratovic kann sowohl Serbe als auch Kroate sein.“

 

Europa auf den richtigen Weg bringen

Einen großen Teil des Abends widmete Juratovic der Europäischen Union. In der heutigen Situation stehe man vor der Gefahr unbegründeter Schuldzuweisungen, die in einer Suche nach Sündenböcken eskalieren könne. Konstruktionsprobleme des europäischen Währungs- und Wirtschaftsraums führten dazu, dass wirtschaftlich schwächeren Staaten Nachteile entstünden, die dann bei den zugehörigen Politikern eine Selbstwahrnehmung als „Opfer der Deutschen“ fördere. Deswegen gibt es laut Juratovic dringenden Handlungsbedarf: „Wenn wir das nicht ändern, fliegt uns der Laden um die Ohren“. Neben Korrekturen in diesem Bereich müsse außerdem das Europäische Parlament reformiert werden. Auch fordert er den Aufbau einer Art europäischer Regierung. Diese Integrationsschritte flexibel durchzuführen, wie es aufgrund der Poly-Krise und fehlender Solidarität der Mitgliedsstaaten wieder stark diskutiert wird, sieht Juratovic mit Bedenken. Aus einem Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten dürfe kein „Europa der unterschiedlichen Richtungen“ werden. So müsse beispielsweise die Aufspaltung in ein Süd- und Nordeuropa vermieden werden. Ein Zuhörer fragt: „Ist jetzt Erweiterung oder Vertiefung für die EU wichtiger?“ Juratovic meint, an beidem müsse parallel gearbeitet werden, um den Fortbestand des Staatenverbunds zu sichern. Eine Beitrittsperspektive für alle EU-Anrainerstaaten sieht er aber nicht. Im Fall der Türkei sei die CDU mit ihrer Policy der privilegierten Partnerschaft „ehrlicher“.

 

Mit dem Islam leben

Ein Heraushalten des Islams aus Europa strebt Juratovic damit keinesfalls an, denn er stellte auch fest: „Unser Umgang mit Muslimen ist nicht akzeptabel“. Um gelungene Integration zu erreichen, seien Moscheen wichtig, in denen in Deutschland ausgebildete Imame arbeiteten. Außerdem müsse dort natürlich auf Deutsch gepredigt werden.

 

Pessimismus bringt uns nicht weiter

In seinem Fazit machte Juratovic noch einmal die Botschaft klar, die er dem vor allem jungen Publikum vermitteln wollte: Die Probleme seien da, jetzt müsse man sich politisch engagieren um nach Lösungen zu suchen. Falsch sei es, sich „einfach aus der Verantwortung zu ziehen“, wie es die Briten mit ihrem EU-Austritt getan hätten. Hinzu komme, dass viele Menschen Frieden fälschlicherweise als selbstverständlich empfänden. Für die Herausforderungen unserer Zeit brauche es stattdessen Vertrauen in die eigenen Stärken: „Wir haben verlernt, auch mal Träume und Visionen zu haben.“


The Dark Messiah - Die USA und der Nationalsozialismus

"This time, things were different. Germany had changed", schrieb der amerikanische Autor Thomas Wolfe (1900-1938) im Kapitel "The Dark Messiah" seines posthum veröffentlichen Roman "You Can't Go Home Again“. Dort lässt er sein Alter Ego von seinem Besuch im Deutschen Reich des Olympiajahrs 1936 berichten. Der Roman ist ein Beispiel dafür, wie sich die US-amerikanischen Zeitgenossen den Aufstieg Hitlers erklärt haben.

 

Einen Einblick in die zeitgenössischen Erklärungsversuche der Massenmedien gab Historiker Dr. Kilian Schultes am 11.05.2017 im Institut für Politische Wissenschaft in Heidelberg. Gemeinsam mit rund einem Dutzend Studierender arbeitete er anhand verschiedener Werke aus Film, Literatur und Comic heraus, wie die USA den Nationalsozialismus interpretierten. Schnell kam dabei aus dem Publikum die Frage, warum die Amerikaner nicht früher etwas gegen Hitler taten. Man dürfe grundsätzlich nicht den Fehler machen, die Geschichte von ihrem Ausgang her zu betrachten, so Herr Schultes.

 

„Unser Wissen, wie die Dinge ausgegangen sind, bestimmt unseren Blick.“ So sei etwa Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre der Begriff ‚Dictator‘ noch positiver besetzt gewesen, als heute. Man bewarb gar eine Automarke mit dem damals kraftvollen Begriff. Erst Mitte der dreißiger Jahre sei der Begriff zunehmend negativ konnotiert gewesen. Anhand weiterer zeitgenössischer Werke, wie Charlie Chaplins ‚Der Große Diktator‘, führte Herr Schultes die Anwesenden über anderthalb Stunden durch verschiedene Interpretation von „Hitlerland“ (Wolfe) bis zum Kriegseintritt der Amerikaner 1941. Deutlich wurde die fatale Unterschätzung Hitlers, die mit der Zeit der Frage wich, „wie Deutschland so tief fallen konnte“ (Thompson). Herrn Schultes gelang es dabei insbesondere die Facetten des Deutschland-Bildes aufzuzeigen und die Auswirkungen für den Krieg und die Nachkriegszeit aufzuzeigen. So entwickelte sich eine spannende und angeregte Diskussion zwischen den Teilnehmern, die auch vor aktuellen politischen Entwicklungen nicht halt machte. Bei der Frage, ob sich die derartige Entwicklungen wiederholen könnte, mahnte Dr. Schultes zur Vorsicht. Damals hätten ganz spezifische historische Bedingungen geherrscht, die heute so nicht anzutreffen seien. Deshalb seien historische Studien auch für die Politikwissenschaft. „Vielleicht bildet die Geschichtsforschung sogar die Grundlage.“

 

Moderator Julian Klose dankte im Namen der Außen- und Sicherheitspolitischen Hochschulgruppe Heidelberg schließlich Herrn Dr. Schultes für seinen informativen und aufschlussreichen Vortrag und verabschiedete die Studentinnen und Studenten.


Ostasien im sicherheitspolitischen Fokus – Frankfurt und Heidelberg veranstalten gemeinsame Exkursion

Zwei BSH-Gruppen, eine Veranstaltung. Diese Idee wurde am 01. Juni 2017 in Frankfurt mit der Kooperationsveranstaltung „Ostasien im sicherheitspolitischen Fokus“ umgesetzt. Das tagesfüllende Programm wurde dabei durch die Außen- und Sicherheitspolitische Hochschulgruppe Heidelberg und die Frankfurter Fachgruppe für Außen- und Sicherheitspolitik gemeinsam organisiert. In diesem Rahmen durften wir als ersten Programmpunkt Markus Liegl als Referenten begrüßen. Markus Liegl ist Doktorand an der Professur für Internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Weltordnungsfragen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er publiziert zur Außen- und Sicherheitspolitik Ostasiens und veröffentlichte vor einigen Wochen ein Arbeitspapier bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik  sowie das Buch „China’s Use of Military Force in Foreign Affairs“ zur Frage, warum die Volksrepublik China in der Vergangenheit militärische Gewalt eingesetzt hat.

 

„Die Kims und ihre Kernwaffen“ – Vortrag von Markus Liegl

 

Markus Liegl gab den anwesenden Hochschulgruppen zu Beginn seines dichten Vortrags „Die Kims und ihre Kernwaffen“ Einblicke in die Lebenswelten und Denkmuster der nordkoreanischen Bevölkerung. Hierauf aufbauend erläuterte er das politische System Nordkoreas sowie die unterschiedlichen Strategien, welche dem Machterhalt der Eliten dienen. Dabei ging er auf den interessanten Aspekt ein, dass bei der Devisenbeschaffung seitens der nordkoreanische Führung auch auf illegale Geschäftsmodelle gesetzt wird. So werden die Produktion und der Vertrieb von Drogen, gefälschtem Bargeld, Zigaretten und Pharmazeutika offenbar staatlich organisiert.

Um dieses Hintergrundwissen berichtet, durften die Zuhörer Liegls umfangreichen Erklärungen zu Nordkoreas nuklearen Ambitionen folgen. Die sich daraus ergebenen destabilisierenden Folgen für die koreanische Halbinsel und für die strategische Sicherheitsarchitektur waren jedem Anwesenden schnell klar. Vor dem Hintergrund, dass Pjöngjang seine nuklearen Kapazitäten in den nächsten Jahren zur vollen Einsatzfähigkeit bringen könnte, wurden den Zuhörern die bereits jetzt bestehenden militärischen Fähigkeiten in den Bereichen BC-Arsenal sowie Trägersystemen detailreich dargelegt.

Sollte Kim Jong-un die atomare Bewaffnung in der aktuellen Geschwindigkeit weiter vorantreiben, besteht laut Liegl in absehbarer Zeit erstmalig eine potentielle Gefahr für das Kernland der Vereinigten Staaten. Er geht jedoch davon aus, dass Pjöngjang seine atomaren Waffen proaktiv nur am Verhandlungstisch einsetzen wird und sich dadurch eine Stärkung der eigenen Position erhofft. Damit würden die diplomatischen Möglichkeiten der USA jedoch rapide abnehmen.

Markus Liegl ermahnte, dass Kim Jong-un offenbar „fester im Sattel sitzt“ als ihm dies zu Beginn seiner Regentschaft von vielen Beobachtern zugetraut worden ist und daher das Regime trotz seiner internationalen Isolation nicht unterschätzt werden darf. Hierauf aufbauend stellte Liegl die Möglichkeiten der USA vor und warnte eindringlich vor dem Versuch, den Konflikt militärisch lösen zu wollen. Ein solcher Ansatz würde unabsehbare Risiken nach sich ziehen und könnte unter anderem China in seiner Beistandsverpflichtung für Nordkorea herausfordern. Insbesondere für Südkorea würde ein militärisches Eingreifen katastrophale Auswirkung mit sich bringen. Vielmehr sprach er sich für eine Intensivierung der diplomatischen Optionen aus, um Nordkorea – unter Einbezug der Volksrepublik China – im Rahmen von Verhandlungen doch noch zur nuklearen Abrüstung bewegen zu können.

Der Erfolg eines solchen Ansatzes wird jedoch maßgeblich von zwei Faktoren abhängen, betonte Liegl: dem Verhandlungsziel und dem Verhandlungsangebot Washingtons. Im Hinblick auf das Verhandlungsziel scheint ein Einfrieren des nordkoreanischen Kernwaffenprogramms auf dem gegenwärtigen Stand wohl noch am ehesten realisierbar. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste Washington jedoch ein für die nordkoreanische Führung relevantes Angebot machen. „Sollen mit Nordkorea ernsthaft Fortschritte am Verhandlungstisch erzielt werden, müssen die USA beginnen sich ebenso ernsthaft mit den Forderungen Pjöngjangs auseinanderzusetzen“, so Liegl. Im Kern bestehen diese vor allem in der diplomatischen Anerkennung Nordkoreas durch die Vereinigten Staaten und im Abschluss eines bilateralen Friedensvertrags, mit dem der seit 1950 andauernde Kriegszustand zwischen den beiden Staaten formal beendet werden würde. Ob sich die neue amerikanische Administration zur Erfüllung dieser Forderungen durchringen könnte bleibt jedoch abzuwarten.

Die interessierte Zuhörerschaft hatte im Anschluss an den Vortrag noch die Gelegenheit zu einer ausgiebigen Diskussion mit dem Referenten. Hierbei wurden die möglichen Optionen für den Präsidenten Donald Trump nochmals rege diskutiert.

 

„Demokratie als Firewall“ – Besuch der Taipeh Vertretung

 

Ein-China-Politik oder die Zwei-Staaten-Ansatz? Diese für Taiwanesen besonders wichtige Frage wurde auch beim Besuch der Heidelberger und Frankfurter BSH-Gruppen in der Taipeh-Vertretung in Frankfurt eingehend diskutiert. Die Ein-China-Politik der Volkrepublik – von den Taiwanesen auch Festland-China genannt – erlaube anderen Ländern keine diplomatischen Beziehungen zur Republik China (Taiwan). „In den 60er Jahren nannte sich diese Vertretung deshalb noch Fernost-Information“, führte der Generaldirektor Jui-kun Huang an. Aber auch heute dürfe sich die Vertretung nicht als taiwanesisches Konsulat bezeichnen. „Wir erledigen hier dennoch normale konsularische Tätigkeiten“, so der Generaldirektor weiter. Zu den meisten Ländern gebe es ferner sehr gute wirtschaftliche Beziehungen und auch der taiwanesische Pass sei überall anerkannt – nicht einmal für die Einreise in die USA würden Taiwanesen ein Visum benötigen. Wenn es keine offiziellen diplomatischen Beziehungen gibt, sei gelegentlich Kreativität von Nöten: Deutsche Auslandsvertreter in Taiwan würden beispielsweise nicht in einem Konsulat arbeiten, sondern würden beurlaubt und sich beim „Deutschen Institut Taipei“ aufhalten.

Bei dieser verwirrenden Lage stellt sich die Frage, ob es in Zukunft wieder ein vereinigtes China geben könnte. So hakte einer der Diskussionsteilnehmer nach: „Schauen die Taiwanesen auf Deutschland in Bezug auf eine mögliche Wiedervereinigung?“ Die Antwort war für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer überraschend: „Für die meisten jungen Taiwanesen stellt sich diese Frage nicht mehr“, so der Mitarbeiter der Vertretung Dr. Chinghua Tsai. Taiwans Demokratie wirke wie eine „Firewall“ gegen solche Ambitionen. Insbesondere die jungen Menschen haben Angst, dass sie in einem geeinten China unfrei leben würden: kein Rede- und Internetfreiheit, keine demokratischen Rechte, kein Facebook. Es sei eher die ältere Generation, die noch von einem geeinten China träume. Auch die derzeitige Präsidentin Tsai Ing-wen setze momentan andere Prioritäten: wirtschaftlicher Aufschwung, Ausbau der Infrastruktur, Zuwendung zu südostasiatischen Staaten.

Ein Vorbild sei Deutschland jedoch in anderer Hinsicht: „Taiwan arbeitet mit Deutschland in der Ausbildung von Richtern und Beamten zusammen – hier lernen wir definitiv von Deutschland“, so Dr. Chinghua Tsai.

Auch mit den USA möchte Taiwan in Zukunft noch stärker zusammenarbeiten – auch in Hinblick auf die Landesverteidigung. Das Verhältnis zur Volksrepublik sei momentan hingegen wieder schwierig. China habe 2005 ein Anti-Abspaltungsgesetz eingeführt, welches militärisches Eingreifen erlaubt, wenn Taiwan seine Unabhängigkeit proklamieren sollte. Beide Länder sehen den jeweils anderen noch immer als Teil des eigenen Landes an: Angelegenheiten mit Festland-China fallen so auch nicht in die Verantwortung des taiwanesischen Außenministeriums, sondern in eine extra für diesen Zweck eingerichtete Behörde. Für Taiwan bedeute die Taiwan-Politik Chinas vor allem eins: „Unsere Souveränität ist eingeschränkt. Auch in vielen internationalen Organisationen können wir nicht mitarbeiten. China lässt das einfach nicht zu“, fasst der Generaldirektor die Situation zusammen.