Belt-and-Road-Initiative: Chinas Weg aus der Middle-Income-Trap?

Wie soll man politisch aufgeladene Phänomene benennen und über sie diskutieren? Im Fall der „Neuen Seidenstraße“ stellt sich diese Frage, da der Name bewusst gewählt ist. Er soll positive Assoziationen mit historischen Handelsverbindungen hervorbringen, die Asien und Europa von einem regen Austausch von Luxusgütern, Technologie und Ideen profitieren ließ.

„One Belt, One Road“, „Belt-and-Road-Initiative” oder „Neue Seidenstraße"? Prof. Dr. Senz gab in ihrem Vortrag bei der Außen- und Sicherheitspolitischen Hochschulgruppe Heidelberg einen Überblick über die Bezeichnungen der chinesischen Entwicklungsstrategie und ihre Bedeutung für China und Europa. (© ASH Heidelberg)

“Chinesische Entwicklungsstrategie ist eine passendere Bezeichnung für das Infrastrukturprojekt der Volksrepublik China“ argumentierte hingegen Prof. Dr. Anja Senz (Universität Heidelberg) in ihrem Vortrag bei der Außen- und Sicherheitspolitischen Hochschulgruppe Heidelberg (ASH). Gerade für die Wissenschaft sei es wichtig, ein eigenes Vokabular zu verwenden, um nicht zum „Propagandisten Chinas“ zu werden.

 

Auch „One Belt, One Road“ (OBOR) eigne sich nicht für eine neutrale Benennung, da der im Numeral „One“ versteckte Einheitsgedanke den Begriff belaste und die Frage einer chinesischen Dominanz aufwerfe. Deswegen werde inzwischen in offiziellen Übersetzungen auf die gekürzte Form „Belt-and-Road-Initiative” (BRI) zurückgegriffen.

 

Die Begriffskontroverse verdeutliche auch die falsche Wahrnehmung des Projekts im Westen. Statt einem zentralisierten einheitlichen Vorhaben, stelle die „Seidenstraße“ ein Becken vielfältiger unterschiedlicher Investitionsprojekte dar. Auch würden Vorhaben damit gelabelt, die gar nicht oder nur zum Teil aus chinesischen Geldern finanziert würden. Ein Beispiel stelle der Bau der Hålogaland-Brücke dar, ein norwegischer Staatsauftrag, für den ein chinesisches Vertragsunternehmen den Zuschlag erhielt.

 

China habe lange Zeit als „Werkbank“ der Welt Erfolg mit seinem Wachstumsmodell gehabt. Nun stehe das Land aber an einem Wendepunkt. Es laufe Gefahr, in eine Middle Income Trap zu geraten, also eine Situation, in der sich der Wettbewerbsvorteil niedriger Lohnkosten abschwächt, ohne dass die Volkswirtschaft auf dem Stand hochentwickelter Industrienationen angekommen ist. Eine Möglichkeit, um aus dieser Lage zu entkommen, ist die Schaffung neuer Exportmärkte. Deshalb sei die vordergründige Absicht der chinesischen Entwicklungsstrategie, die Konnektivität der chinesischen Handelswege zu verbessern, das heißt eine Reduzierung der Frachtzeiten und -kosten zu erreichen.

 

Jedoch stehe die chinesische Regierung vor allem auch innerhalb des Landes vor großen Herausforderungen, wie der Urbanisierung, dem Reformstau im Staatssektor und dem großen Ressourcenverbrauch.

 

Nach außen hin stelle die BRI einen Weg aus der Krise dar, erklärte Senz, aber das innere Problem, innovativer und produktiver zu werden, habe China (noch) nicht gelöst.

 

Sind neben der ökonomischen Motivation zur „Seidenstraße“ auch andere genuin sicherheitspolitische Ziele denkbar? Als in der Fachcommunity diskutierte Erklärungsansätze nannte Senz die Forderung nach Eigenständigkeit gegenüber den USA, die Abwehr der US-amerikanischen Containment-Politik und eine Gegenreaktion auf den Ausschluss Chinas aus Freihandelsabkommen, etwa der Transpazifischen Partnerschaft. Darüber hinaus nutze China die „Seidenstraße“ auch, um auf Kritik der Weltgemeinschaft hinsichtlich der Treibhausgasemissionen Chinas zu reagieren. So werde bei den finanzierten Projekten formal inzwischen mehr auf nachhaltige Ansätze geachtet.

 

Aber nicht nur in Umweltfragen, zum Beispiel durch das Problem unterschiedlicher Regulierungsstandards, zeigten sich die Auswirkungen der chinesischen Entwicklungsstrategie relevant für Europa. Vor allem Regionen mit „prekären wirtschaftlichen Bedingungen oder Formen nachholender Entwicklung“ seien offen für chinesische Investitionen, die die Bedeutung der Förderprogramme der Europäischen Union (EU) für bestehende und mögliche zukünftige Mitgliedsstaaten schmälern würden. Weiterhin verhinderten die finanziellen Anreize der BRI des Öfteren einen Konsens über den Umgang mit China. So hätten Empfängerländer von chinesischen Investitionen in der Vergangenheit die Formulierung von einheitlichen Linien der EU gegenüber China, zum Beispiel in Menschenrechtsfragen, blockiert.

 

Ökonomische Probleme und ein Defizit an Unterstützung machen China zu einem attraktiven Partner für die wirtschaftlich schwächeren Länder des europäischen Ostens. Insofern müsse die Strategie der EU darauf abzielen, sich bei der Projektförderung in die Perspektive dieser Staaten hineinzuversetzen. Außerdem dürfe man sich „nicht von Slogans oder Worthülsen beeindrucken lassen“. Stattdessen forderte Senz von der EU mehr „Koordination, Selbstbewusstsein und China-Kompetenz“.

 

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