Sicherheit in Deutschland: Neue Herausforderungen erfordern neue Instrumente

Im Rahmen einer Online-Veranstaltung der Außen- und Sicherheitspolitischen Hochschulgruppe Heidelberg (ASH) diskutierten die Teilnehmenden mit Gerhard Schindler, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), über noch immer bestehende und neu hinzugekommene sicherheitspolitische Herausforderungen für und in Deutschland.

Ein Teil der Teilnehmer der Online-Veranstaltung mit Gerhard Schindler

Welchen Stellenwert hat das Thema Sicherheit in unserer Gesellschaft? Wie gut sind wir auf künftige sicherheitspolitische Bedrohungen vorbereitet? Mit diesen Fragen forderte Herr Schindler uns zu Beginn seines Vortrags heraus, fielen seine Antworten doch recht ernüchternd aus: Sicherheit habe nur einen „unterentwickelten Stellenwert“ in der deutschen Mehrheitsbevölkerung und in unserer Präventionsarbeit „könnten wir natürlich besser werden“.

 

Doch mit welchen Bedrohungsszenarien sieht sich die Bundesrepublik momentan konkret konfrontiert? In den Augen des ehemaligen Chefs des deutschen Auslandsnachrichtendienstes entspringen sie vor allem drei Quellen, die in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewonnen hätten und heute mehr denn je unserer Aufmerksamkeit bedürften: aufstrebende autokratische Regime, internationaler Terrorismus und Kriminalität im Cyberraum.

 

Westliche Demokratien würden zunehmend herausgefordert durch Nationalpopulisten wie Putin, Erdogan und Xi Jinping, die ein „autoritäres Gegenmodell zum dekadenten Westen propagieren“ und damit für eine international ansteigende Unsicherheit sorgen würden. Gleichzeitig müssen wir laut Schindler beobachten, „dass internationale Befriedungsmechanismen wie die UN immer seltener funktionieren. Die Gefährdungslage hat sich zwar fortentwickelt, aber humanitäre Regeln und das Kriegsvölkerrecht haben sich nicht weiterentwickelt.“

Im internationalen Terrorismus sieht Schindler eine langfristige Bedrohung für die globale Sicherheitslage, und zwar selbst dann, wenn es gelingen sollte die aktuell einflussreichsten Terrornetzwerke zu zerschlagen. „Die Marken IS und al-Qaida werden bestehen bleiben. Franchisenehmer aus aller Welt werden sich gerne dieser Marken bedienen“, so seine Einschätzung. Und die Zahlen zeigen, dass die Bedrohung auch und gerade in Europa ernst genommen werden müsse: Allein in Deutschland leben Schindler zufolge „28.000 erkannte Islamisten, darunter 12.000 radikale Salafisten und 1.000 Personen, die dem islamistisch-terroristischen Lager zuzuordnen sind.“ Hinzu kämen terroristische Gefährder, die sich auf andere Ideologien gründen und nicht minder extremistische Positionen vertreten würden.

Darüber hinaus sei das Internet ein bis dato noch viel zu wenig beachteter Bereich, denn hier „tobt ein stiller Krieg“. Ein stiller, doch sehr folgenreicher Krieg, stelle man sich nur einen Cyberangriff auf die deutsche Energieversorgung vor. „Heute“, so Schindler, „braucht man nur noch eine Handvoll versierter IT-Spezialisten, um Bedrohungsszenarien von einem Ausmaß zu erzeugen, für das früher Armeen nötig gewesen wären.“

 

Um sein Zwischenfazit – eine neue internationale Gefährdungslage erfordert neue sicherheitspolitische Instrumentarien – zu untermauern, zitierte Schindler die Worte unseres Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier auf der Münchner Sicherheitskonferenz im vergangenen Jahr: „Wir werden heute Zeugen einer zunehmend destruktiven Dynamik der Weltpolitik. Vom Ziel internationaler Zusammenarbeit zur Schaffung einer friedlicheren Welt entfernen wir uns von Jahr zu Jahr weiter.“

Vor diesen Aussichten zu kapitulieren wäre jedoch die falscheste aller Reaktionen. Stattdessen hält Schindler eine „Gesamtrevision der deutschen Sicherheitsarchitektur, die es so noch nicht gegeben hat“ für nötig. An dieser Stelle wurde er konkret und schlug diverse Maßnahmen zur besseren Prävention und Bearbeitung alter und neuer Bedrohungslagen vor, die einen gemeinsamen Grundtenor besaßen: engere Kommunikation, effektivere Kooperation. Und zwar sowohl national zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Bundesländern untereinander, als auch international mit unseren ständigen Partnern sowie in punktuellen Interessensgemeinschaften. Der zwischen den beteiligten Staaten kaum koordinierte Truppenabzug aus Afghanistan sei ein gutes Beispiel für die schwerwiegenden Konsequenzen von Auslandseinsätzen, bei denen es an überzeugenden Interventionsgründen und langfristiger Planung fehle. Auf den Ausspruch von Peter Struck, zu Beginn des deutschen Afghanistaneinsatzes amtierender deutscher Verteidigungsminister, Bezug nehmend machte Schindler deutlich: „Die Sicherheit Deutschlands wurde nicht am Hindukusch verteidigt.“

 

Gerade in Anbetracht solcher Negativbeispiele sei es verwunderlich, wie „zaghaft wir uns auf die zukünftigen Aufgaben vorbereiten“. Seit Gründung des BND im April 1956 habe es keine breite öffentliche Debatte darüber gegeben, was er leisten können soll und muss. Genau eine solche konstruktive Diskussion über Detailfragen einer künftigen Neuaufstellung der deutschen Sicherheitsbehörden fordert Schindler, um die daraus gewonnenen Erkenntnisse anschließend in Maßnahmen umzusetzen. „Das Ziel ist vorgegeben, jetzt müsste gehandelt werden.“ Ein Fazit, das nachklingt – und Fragen aufwirft, wie sich in der anschließenden Diskussionsrunde zeigte.

 

Die 60 Teilnehmenden interessierten sich für Schindlers Meinung zum Pegasus Leak und fragten nach angemessenen Reaktionen auf ausländische Abhörattacken, es ging um Chancen und Grenzen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit nationaler Sicherheitsbehörden sowie um die Möglichkeiten zur Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes

Auch das im Vortrag thematisierte Verhältnis von Freiheit und Sicherheit wurde in der vielseitigen Diskussionsrunde aufgegriffen, etwa konkret hinsichtlich des Einsatzes von Staatstrojanern. „Ob beide Grundwerte sich gleichberechtigt gegenüberstehen oder die Sicherheit nach der maslowschen Bedürfnispyramide eine höhere Bedeutung als die Freiheit hat, wird weiter zu diskutieren sein“, fasste Lukas Huckfeldt, Bundesvorsitzender des Bundesverbandes Sicherheitspolitik an Hochschulen (BSH), die Debatte rückblickend zusammen. Einig waren wir uns, dass dieser Diskurs um Sicherheit(-spolitik) in Deutschland weiterhin gefordert und gefördert werden muss.“

Die thematisch daran anschließende Frage nach der Bedeutung sicherheitspolitischer Themen im aktuellen Bundestagswahlkampf nahm Herr Schindler zum Anlass für „ein großes Lob an Ihre Hochschulgruppe und den gesamten Verband, dass Sie sich dem Thema Sicherheitspolitik widmen“. Die Teilnehmenden äußerten sich ihrerseits positiv über den informativen und kurzweiligen Vortrag sowie den darauffolgenden Austausch.