Europäische Abhängigkeit von China - weniger massiv als gedacht?

Am 23. Februar durfte die Außen- und Sicherheitspolitische Hochschulgruppe Heidelberg im Kontext einer Kooperationsveranstaltung mit dem Fachausschuss Europa der CDU Heidelberg Herrn Gregor Sebastian vom Mercator Institute for China Studies als Referenten begrüßen. Nach seinem Vortrag über Chinas Wirtschaftsmacht und die Handelsbeziehungen zur EU meldeten sich viele der 20 Teilnehmenden mit vertiefenden Fragen und Diskussionsbeiträgen.

„Das neue China: Lehren aus den letzten 24 Monaten“ – mit diesem Titel überschrieb Sebastian den ersten Teil seines Vortrags, in dem er wichtige Meilensteine der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas zusammenfasste. Bereits hier bezog er die EU mit ein, beispielsweise indem er die europäischen Reaktionen auf die Weltwirtschaftskrise 2008/09 mit den chinesischen kontrastierte: rigide Sparpolitik vs. hohe Staatsinvestitionen. Insbesondere in den letzten beiden 5-Jahres-Plänen der chinesischen Regierung sei zudem eine Verschiebung der Investitionstätigkeit hin zu stärkerer Technologielastigkeit zu verzeichnen. Beliebte Bereiche wären unter anderem die Elektroautomobilindustrie, der Ausbau digitaler Infrastruktur, Biotechnologie und künstliche Intelligenz.

 

Ein weiterer sich in diesen längerfristigen Plänen abzeichnender Trend sei die Abbremsung des enormen chinesischen Wirtschaftswachstums, das während der frühen 2000er Jahre beobachtet werden konnte. Zwar seien die Wachstumsraten mit 5 bis 6 Prozent im globalen Vergleich immer noch ansehnlich, die zweistelligen Sprünge des jährlichen BIPs gehörten jedoch absehbar der Vergangenheit an.

 

Gleichzeitig sorge der Wunsch nach stärkerer ökonomischer Unabhängigkeit von westlichen Nationen laut Sebastian für eine Neuausrichtung von Pekings strategischem Fokus auf die eigene Bevölkerung: „Aufgrund der veränderten geopolitischen Situation sollen chinesische Konsumenten nun der Hauptwachstumstreiber sein.“

 

Im darauffolgenden Teil des Vortrags setzte sich Sebastian mit der Frage nach der europäischen Abhängigkeit von China auseinander und kam zu einer relativierenden Einordnung. Zwar sei China vor allem hinsichtlich der Importe Europas größter Handelspartner, hinsichtlich anderer Wirtschaftsindikatoren, beispielsweise den Investitionssummen und der Attraktivität als Absatzmarkt, wären die USA jedoch weitaus bedeutender. Insgesamt schätzte er die chinesische Abhängigkeit im europäisch-chinesischen Interdependenzverhältnis als höher ein. Und: „Die wachsenden ideologischen Unterschiede werden absehbar zu noch stärkeren Spannungen [zwischen der EU und China] führen.“

 

Zuletzt beleuchteten wir die chinesischen Investitionen in Europa sowie die Investitionstätigkeit europäischer Unternehmen in China. Dabei hob Sebastian insbesondere Pekings Strategie, ausländische Produzenten durch strikte Regularien zur Verlagerung ihrer Produktionsstätten nach China zu zwingen, hervor. Um den Zugang zum chinesischen Markt nicht zu verlieren, würden viele Unternehmen dem Druck nachgeben, wodurch Expertise und Kapital nach China abwanderten. Da ein solches Vorgehen bei sehr marktmächtigen Global Playern jedoch unmöglich ist, werden viele hochspezialisierte Maschinen noch immer außerhalb Chinas produziert – womit sich der Kreis zur oben erwähnten Abhängigkeitsthese schließt.

 

An der folgenden Fragerunde beteiligte sich die Zuhörerschaft rege, sodass wir von den Folgen des enormen chinesischen Energieverbrauchs über die Neue Seidenstraße bis zu Patentrechten gelangten. Darüber hinaus diskutierten wir, inwieweit man mit Blick auf China von einem „digitalen Totalitarismus“ sprechen und inwiefern chinesischen Angaben zur eigenen wirtschaftlichen Stärke überhaupt geglaubt werden könnte.

 

Bei der Verabschiedung hob der Referent diese Resonanz positiv hervor und auch die ASH freut sich auf weitere Kooperationen mit MERICS und dem Fachausschuss Europa!