Ostasien im sicherheitspolitischen Fokus – Frankfurt und Heidelberg veranstalten gemeinsame Exkursion

An der Goethe-Universität Frankfurt verschaffte Doktorand Markus Liegl den Teilnehmern detaillierte Einblicke in die Mechanismen, die das Fortbestehen des nordkoreanischen Staates auf der internationalen Ebene sichern.

Angeregt diskutiert wurde die Frage: Wie kann und soll der amerikanische Präsident auf Nordkoreas nukleare Ambitionen reagieren?

Im Anschluss wartete ein gastfreundschaftlicher Empfang in der Taipeh Vertretung auf die Exkursionsgruppe.

Diente das deutsche Modell der Wiedervereinigung lange Zeit als Vorbild, ist heute vor allem die junge taiwanesische Bevölkerung überzeugt, dass ein Zusammenschluss mit der Volksrepublik China durch Abstriche bei der Qualität von Bürger- und Freiheitsrechten begleitet werden würde.

Zum Ende des Besuchs lud Generaldirektor Jui-kun Huang die Teilnehmer ein, sich mit einer Reise nach Taiwan oder einem Auslandssemester selbst ein Bild von Land und Leuten zu machen.

Zwei BSH-Gruppen, eine Veranstaltung. Diese Idee wurde am 01. Juni 2017 in Frankfurt mit der Kooperationsveranstaltung „Ostasien im sicherheitspolitischen Fokus“ umgesetzt. Das tagesfüllende Programm wurde dabei durch die Außen- und Sicherheitspolitische Hochschulgruppe Heidelberg und die Frankfurter Fachgruppe für Außen- und Sicherheitspolitik gemeinsam organisiert. In diesem Rahmen durften wir als ersten Programmpunkt Markus Liegl als Referenten begrüßen. Markus Liegl ist Doktorand an der Professur für Internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Weltordnungsfragen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er publiziert zur Außen- und Sicherheitspolitik Ostasiens und veröffentlichte vor einigen Wochen ein Arbeitspapier bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik  sowie das Buch „China’s Use of Military Force in Foreign Affairs“ zur Frage, warum die Volksrepublik China in der Vergangenheit militärische Gewalt eingesetzt hat.

 

„Die Kims und ihre Kernwaffen“ – Vortrag von Markus Liegl

 

Markus Liegl gab den anwesenden Hochschulgruppen zu Beginn seines dichten Vortrags „Die Kims und ihre Kernwaffen“ Einblicke in die Lebenswelten und Denkmuster der nordkoreanischen Bevölkerung. Hierauf aufbauend erläuterte er das politische System Nordkoreas sowie die unterschiedlichen Strategien, welche dem Machterhalt der Eliten dienen. Dabei ging er auf den interessanten Aspekt ein, dass bei der Devisenbeschaffung seitens der nordkoreanische Führung auch auf illegale Geschäftsmodelle gesetzt wird. So werden die Produktion und der Vertrieb von Drogen, gefälschtem Bargeld, Zigaretten und Pharmazeutika offenbar staatlich organisiert.

Um dieses Hintergrundwissen berichtet, durften die Zuhörer Liegls umfangreichen Erklärungen zu Nordkoreas nuklearen Ambitionen folgen. Die sich daraus ergebenen destabilisierenden Folgen für die koreanische Halbinsel und für die strategische Sicherheitsarchitektur waren jedem Anwesenden schnell klar. Vor dem Hintergrund, dass Pjöngjang seine nuklearen Kapazitäten in den nächsten Jahren zur vollen Einsatzfähigkeit bringen könnte, wurden den Zuhörern die bereits jetzt bestehenden militärischen Fähigkeiten in den Bereichen BC-Arsenal sowie Trägersystemen detailreich dargelegt.

Sollte Kim Jong-un die atomare Bewaffnung in der aktuellen Geschwindigkeit weiter vorantreiben, besteht laut Liegl in absehbarer Zeit erstmalig eine potentielle Gefahr für das Kernland der Vereinigten Staaten. Er geht jedoch davon aus, dass Pjöngjang seine atomaren Waffen proaktiv nur am Verhandlungstisch einsetzen wird und sich dadurch eine Stärkung der eigenen Position erhofft. Damit würden die diplomatischen Möglichkeiten der USA jedoch rapide abnehmen.

Markus Liegl ermahnte, dass Kim Jong-un offenbar „fester im Sattel sitzt“ als ihm dies zu Beginn seiner Regentschaft von vielen Beobachtern zugetraut worden ist und daher das Regime trotz seiner internationalen Isolation nicht unterschätzt werden darf. Hierauf aufbauend stellte Liegl die Möglichkeiten der USA vor und warnte eindringlich vor dem Versuch, den Konflikt militärisch lösen zu wollen. Ein solcher Ansatz würde unabsehbare Risiken nach sich ziehen und könnte unter anderem China in seiner Beistandsverpflichtung für Nordkorea herausfordern. Insbesondere für Südkorea würde ein militärisches Eingreifen katastrophale Auswirkung mit sich bringen. Vielmehr sprach er sich für eine Intensivierung der diplomatischen Optionen aus, um Nordkorea – unter Einbezug der Volksrepublik China – im Rahmen von Verhandlungen doch noch zur nuklearen Abrüstung bewegen zu können.

Der Erfolg eines solchen Ansatzes wird jedoch maßgeblich von zwei Faktoren abhängen, betonte Liegl: dem Verhandlungsziel und dem Verhandlungsangebot Washingtons. Im Hinblick auf das Verhandlungsziel scheint ein Einfrieren des nordkoreanischen Kernwaffenprogramms auf dem gegenwärtigen Stand wohl noch am ehesten realisierbar. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste Washington jedoch ein für die nordkoreanische Führung relevantes Angebot machen. „Sollen mit Nordkorea ernsthaft Fortschritte am Verhandlungstisch erzielt werden, müssen die USA beginnen sich ebenso ernsthaft mit den Forderungen Pjöngjangs auseinanderzusetzen“, so Liegl. Im Kern bestehen diese vor allem in der diplomatischen Anerkennung Nordkoreas durch die Vereinigten Staaten und im Abschluss eines bilateralen Friedensvertrags, mit dem der seit 1950 andauernde Kriegszustand zwischen den beiden Staaten formal beendet werden würde. Ob sich die neue amerikanische Administration zur Erfüllung dieser Forderungen durchringen könnte bleibt jedoch abzuwarten.

Die interessierte Zuhörerschaft hatte im Anschluss an den Vortrag noch die Gelegenheit zu einer ausgiebigen Diskussion mit dem Referenten. Hierbei wurden die möglichen Optionen für den Präsidenten Donald Trump nochmals rege diskutiert.

 

„Demokratie als Firewall“ – Besuch der Taipeh Vertretung

 

Ein-China-Politik oder die Zwei-Staaten-Ansatz? Diese für Taiwanesen besonders wichtige Frage wurde auch beim Besuch der Heidelberger und Frankfurter BSH-Gruppen in der Taipeh-Vertretung in Frankfurt eingehend diskutiert. Die Ein-China-Politik der Volkrepublik – von den Taiwanesen auch Festland-China genannt – erlaube anderen Ländern keine diplomatischen Beziehungen zur Republik China (Taiwan). „In den 60er Jahren nannte sich diese Vertretung deshalb noch Fernost-Information“, führte der Generaldirektor Jui-kun Huang an. Aber auch heute dürfe sich die Vertretung nicht als taiwanesisches Konsulat bezeichnen. „Wir erledigen hier dennoch normale konsularische Tätigkeiten“, so der Generaldirektor weiter. Zu den meisten Ländern gebe es ferner sehr gute wirtschaftliche Beziehungen und auch der taiwanesische Pass sei überall anerkannt – nicht einmal für die Einreise in die USA würden Taiwanesen ein Visum benötigen. Wenn es keine offiziellen diplomatischen Beziehungen gibt, sei gelegentlich Kreativität von Nöten: Deutsche Auslandsvertreter in Taiwan würden beispielsweise nicht in einem Konsulat arbeiten, sondern würden beurlaubt und sich beim „Deutschen Institut Taipei“ aufhalten.

Bei dieser verwirrenden Lage stellt sich die Frage, ob es in Zukunft wieder ein vereinigtes China geben könnte. So hakte einer der Diskussionsteilnehmer nach: „Schauen die Taiwanesen auf Deutschland in Bezug auf eine mögliche Wiedervereinigung?“ Die Antwort war für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer überraschend: „Für die meisten jungen Taiwanesen stellt sich diese Frage nicht mehr“, so der Mitarbeiter der Vertretung Dr. Chinghua Tsai. Taiwans Demokratie wirke wie eine „Firewall“ gegen solche Ambitionen. Insbesondere die jungen Menschen haben Angst, dass sie in einem geeinten China unfrei leben würden: kein Rede- und Internetfreiheit, keine demokratischen Rechte, kein Facebook. Es sei eher die ältere Generation, die noch von einem geeinten China träume. Auch die derzeitige Präsidentin Tsai Ing-wen setze momentan andere Prioritäten: wirtschaftlicher Aufschwung, Ausbau der Infrastruktur, Zuwendung zu südostasiatischen Staaten.

Ein Vorbild sei Deutschland jedoch in anderer Hinsicht: „Taiwan arbeitet mit Deutschland in der Ausbildung von Richtern und Beamten zusammen – hier lernen wir definitiv von Deutschland“, so Dr. Chinghua Tsai.

Auch mit den USA möchte Taiwan in Zukunft noch stärker zusammenarbeiten – auch in Hinblick auf die Landesverteidigung. Das Verhältnis zur Volksrepublik sei momentan hingegen wieder schwierig. China habe 2005 ein Anti-Abspaltungsgesetz eingeführt, welches militärisches Eingreifen erlaubt, wenn Taiwan seine Unabhängigkeit proklamieren sollte. Beide Länder sehen den jeweils anderen noch immer als Teil des eigenen Landes an: Angelegenheiten mit Festland-China fallen so auch nicht in die Verantwortung des taiwanesischen Außenministeriums, sondern in eine extra für diesen Zweck eingerichtete Behörde. Für Taiwan bedeute die Taiwan-Politik Chinas vor allem eins: „Unsere Souveränität ist eingeschränkt. Auch in vielen internationalen Organisationen können wir nicht mitarbeiten. China lässt das einfach nicht zu“, fasst der Generaldirektor die Situation zusammen.